Psychische Gesundheit ist ein stetiger Entwicklungsprozess. Mit jeder neuen Herausforderung muss das Gleichgewicht zwischen Anforderung und Möglichkeiten zu deren Bewältigung neu ausgelotet werden. Jede Aufgabe, die ein Kind im Laufe seiner Entwicklung bewältigen muss, bedeutet eine besondere Herausforderung – egal ob es um Kindergarten und Schule, den Umgang mit Freunden oder Konflikte zu Hause geht.

Manches davon kann das Kind zunächst überfordern, da es erst herausfinden muss, wie es mit etwas am besten umgeht – entweder durch Nachahmen und Ausprobieren oder durch die Unterstützung von Eltern und anderen Bezugspersonen. Nicht immer gelingt dies gut. Manche Kinder tun sich bei der einen oder anderen Anforderung schwer, finden dann aber mit Unterstützung der Eltern wieder ihren Weg. Andere dagegen reagieren vielleicht mit Ängsten, Traurigkeit oder Aggressivität, aus denen sich dann Verhaltensauffälligkeiten entwickeln können.

10 % der unter 18-Jährigen haben psychische Probleme

Erhebungen des Robert-Koch-Instituts in Berlin zur Kinder- und Jugendgesundheit belegen: 20 Prozent der unter 18-Jährigen in der Bundesrepublik Deutschland weisen psychische Auffälligkeiten auf, das heisst knapp vier Millionen Kinder und Jugendliche. Zehn Prozent haben sogar deutlich erkennbare Störungen.

Alle Eltern machen sich zuweilen Sorgen über die Entwicklung ihrer Kinder. Problematische Verhaltensweisen sind keine Ausnahmen, sondern gehören zur Normalität. Alle Kinder fallen irgendwann einmal problematisch auf. Vor allem wenn es um psychische Symptome geht, stellt sich im Alltag die Frage, was «normal» ist und ab wann etwas als auffällig oder als Störung bewertet wird. So wie jedes Kind einzigartig ist und seine Fähigkeiten auf seine Weise, in seinem Tempo entwickelt, so unterscheiden sich Kinder auch in ihrer Art. Sie sind zum Beispiel eher schüchtern und zurückhaltend, während andere offen auf ihre Mitmenschen zugehen. Und auch auf Seite der Eltern ist es oft ganz unterschiedlich, was sie als Problem und Belastung empfinden, beispielsweise wenn sich das Kind mit dem Ein- und Durchschlafen schwertut.

«Schlechte Tage nicht überbewerten. Wenn Ihr Kind mal traurig und niedergeschlagen wirkt, mal keine Lust hat zu spielen oder mal unkonzentriert und ablenkbar ist, muss das nicht gleich Anlass zur Sorge geben.»

Dr. Pia von Gontard

Oberpsychologin

Das Gleiche gilt, wenn das Kind einen Konflikt mit anderen Kindern hat oder mal wütend und inadäquat reagiert. Auch Kinder haben wie Erwachsene gute und schlechte Tage, haben mal Lust zu etwas und mal nicht. Heute essen sie etwas mit Appetit, was sie morgen stehen lassen, schlafen heute problemlos ein und finden morgen überhaupt nicht in den Schlaf. Das ist bei Erwachsenen so und auch bei Kindern und sollte kein Problem darstellen. Viele Auffälligkeiten verschwinden nach ein paar Tagen oder Wochen wieder von ganz allein. Es gibt jedoch Hinweise, bei denen Eltern aufmerksam werden sollten. Insbesondere, wenn sich das Verhalten von Kindern oder Jugendlichen mit oder ohne erkennbare Ursache plötzlich ändert, kann dies ein Anzeichen für ein ernst zu nehmendes Problem sein.

Seelische Störungen betreffen das Denken, Fühlen und Handeln. Dieses ist individuell unterschiedlich. Zudem spielen sich das Denken und Fühlen hauptsächlich im Inneren eines Menschen ab. In der Kindheit und Jugend sind die Unterschiede in den Gedanken, den Gefühlen und dem Verhalten sehr ausgeprägt und darüber hinaus noch vom Alter und Entwicklungsstand mit beeinflusst. Deshalb sind psychische Störungen nicht immer leicht zu erkennen.

So erkennen Sie psychische Probleme Ihres Kindes

Als verhaltensauffällig wird ein Kind immer dann bezeichnet, wenn es sich oft erheblich anders verhält als die meisten Kinder seines Alters in vergleichbaren Situationen. Welches Verhalten als normal und welches als auffällig bezeichnet wird, hängt aber auch von den Normen und Erwartungen, dem Kulturkreis und dem Alter ab. Ein etwa zweijähriges Kind, welches häufig Trotzanfälle mit aggressivem Verhalten hat, verhält sich beispielsweise relativ normal. Die gleichen Verhaltensweisen bei einem Jugendlichen können dagegen als Verhaltensauffälligkeit bezeichnet werden. Die Symptome bei verhaltensauffälligen Kindern und Jugendlichen sind je nach Störung unterschiedlich. Manchmal unterscheiden sie sich auch von denen der Erwachsenen. Dabei sind einige Anzeichen nach aussen gerichtet und damit leicht erkennbar, andere finden im Inneren statt und sind somit nicht immer sofort feststellbar.

Bei folgenden Anzeichen sollten Sie aufmerksam werden:

  • Wenn Ihr Kind ängstlich ist und sich zurückzieht. Übermässige Ängstlichkeit und Rückzug können Zeichen einer Angststörung sein, treten aber auch bei Depressionen auf.
  • Wenn Ihr Kind sich aggressiv verhält. Aggressivität kann sich verbal oder in Handlungen zeigen.
  • Wenn Ihr Kind extrem Gewicht ab- oder zunimmt. Gewichtsverlust oder Gewichtszunahme in starkem Ausmass können, sofern keine körperlichen Krankheiten der Grund dafür sind, Symptome einer Essstörung sein. Magersucht und Esssucht sind sichtbar, weil die Kinder extrem dünn oder dick werden.
  • Wenn Ihr Kind hyperaktiv und motorisch unruhig ist. Wenn sich ein Kind sehr viel aktiver als andere Kinder verhält, dabei auch Spielregeln des Umgangs nicht einhält und von Unruhe getrieben ist, liegt wahrscheinlich eine Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS) vor.
  • Wenn Ihr Kind mangelnde Aufmerksamkeit und Konzentration zeigt. Mangelnde Aufmerksamkeit in verschiedenen Situationen ist möglicherweise ein Anzeichen für eine AD(H)S (Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom mit oder ohne Hyperaktivität). Doch auch Depressionen und Angststörungen können Kinder daran hindern, aufmerksam zu sein. Bei Essstörungen kann Hunger zu fehlender Aufmerksamkeit und Konzentration führen.
  • Wenn Ihr Kind mit den Muskeln zuckt, blinzelt oder Laute ausstösst. Wenn ein Kind oft unwillkürlich Bewegungen macht, die es nicht selbst kontrollieren kann, viel blinzelt, Grimassen schneidet oder Laute ausstösst, zum Beispiel Räuspern, kann es unter einer Tic-Störung leiden.
  • Wenn Ihr Kind sich selbst verletzt. Selbstverletzendes Verhalten, wie das Ritzen oder Verbrennen der Haut ist meist Ausdruck einer psychischen Erkrankung. Die Verletzungen können Warnsignale sein und auf Impulskontroll- oder Borderline-Störung oder Depressionen hinweisen.
  • Wenn Ihr Kind schüchtern und zurückhaltend ist. Fast alle Kinder sind in bestimmten Situationen schüchtern. Bei extrem schüchternen Kindern könnte eine Angststörung dahinterstecken.
  • Wenn Ihr Kind schweigt (mutistisch ist). Mutismus wird als Kommunikationsstörung eingeordnet: Die Kinder schweigen entweder vollständig oder in bestimmten Situationen, obwohl sie organisch imstande sind zu sprechen.
  • Wenn Ihr Kind traurig und niedergeschlagen ist. Traurigkeit, Niedergeschlagenheit, fehlende Motivation und Interesselosigkeit sind vor allem Anzeichen einer Depression. Bei kleineren Kindern macht sich eine Depression durch eine Unlust zu spielen bemerkbar.
  • Wenn Ihr Kind zwanghaft Handlungen wiederholt. Ein Kind, das sich übertrieben häufig wäscht, kontrolliert oder zählt, hat möglicherweise eine Zwangsstörung

Wenn solche oder ähnliche Verhaltensweisen und Stimmungen häufig, ausgeprägt und dauerhaft auftreten und vielleicht auch im Kindergarten oder Schule vermehrt zu Problemen führen und Sie sich Sorgen machen über das Verhalten Ihres Kindes, sollten Sie unbedingt fachkundigen Rat einholen. Denn durch eine frühzeitige Diagnosestellung und Behandlung wird das Kind gezielt unterstützt und in seiner weiteren Entwicklung gestärkt.

Häufig versuchen Eltern mit ihrem Kind viel zu lange, ein Problem selbst zu lösen, bis sie sich schliesslich Unterstützung suchen. Gerade wenn Sie derzeit mit mehreren Belastungen gleichzeitig konfrontiert sind, sollten Sie nicht zu lange damit warten, Hilfe zu suchen. Sie tun weder sich noch Ihrem Kind einen Gefallen damit.

Durch frühzeitiges Erkennen von psychischen Auffälligkeiten können Eltern, Erzieher und Lehrer entgegenwirken, dass Kinder und Jugendliche psychische Probleme entwickeln oder sich bereits bestehende psychische Störungen verstärken.

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