«Ich möchte ermutigen, andere Menschen anzusprechen, zu fragen.»

An unseren Klinikstandorten Beverin in Cazis und Waldhaus in Chur sind ein katholischer und zwei reformierte Seelsorger tätig. Unsere seelsorgerische Begleitung hinterfragt Krankes, bekräftigt Gesundes und fördert unsere Patientinnen und Patienten in ihrer persönlichen Spiritualität.

Wir haben Eva Anderegg, Seelsorgerin Klinik Waldhaus, im Rahmen ihrer Tätigkeit und rund um das Thema «Trauer und Verlust verarbeiten» ein paar Fragen gestellt:

Welchen Menschen begegnest du bei deiner Arbeit als Seelsorgerin in der Psychiatrie?
Mir begegnen viele feinfühlige Menschen, die hier sind, um Wege zu finden, wie sie mit ihrer Geschichte, mit ihrem Leben, mit ihrer Persönlichkeit zurechtkommen, oder weil sie zur Ruhe kommen möchten. Viele müssen mit einem Zusammenbruch, mit Krankheiten wie Depression oder Schizophrenie umgehen lernen, Gewalterfahrungen oder einen Suizidversuch bewältigen.

Begegnen dir die Themen Trauer und Verlust häufig im Gespräch?
Wenn wir «Trauer und Verlust» weit fassen, begegnen sie mir in der Klinik oft. Dabei geht es um Unglücksfälle, um den Tod einer oder mehrerer nahestehender Personen, aber auch um die Trauer darüber, dass man mit einer einschneidenden Krankheit fertigwerden muss. Auch gescheiterte oder unerfüllte Lebensziele und Lebenspläne gehören dazu.

«Mir begegnen viele feinfühlige Menschen, die hier sind, um Wege zu finden, wie sie mit ihrer Geschichte, mit ihrem Leben, mit ihrer Persönlichkeit zurechtkommen, oder weil sie zur Ruhe kommen möchten.»

Was macht Trauer mit uns persönlich?
Die einen fühlen sich hilflos, ohnmächtig, ausgeliefert, leer. Andere sind wütend über ihr Schicksal. Bei der Trauer haben wir es auch mit Scham – zum Beispiel über eigenes Versagen oder darüber, dass die Trauer nicht schon längst beendet ist – und mit Schuld zu tun.

Auch das Annehmen einer einschneidenden Krankheit ist Trauerarbeit oder die Verarbeitung einer Scheidung oder von gescheiterten Lebensplänen. Ich finde es wichtig, sich nicht an Vorstellungen festzuklammern, wie die Trauer bei einem aussehen soll, welchen Ausdruck sie haben und wie lange sie dauern darf. Trauer ist so vielfältig wie es Menschen gibt, jede und jeder trauert anders. Trauer ist etwas sehr Individuelles. Sie kann den Menschen total durchschütteln.

«Trauer ist so vielfältig wie es Menschen gibt, jede und jeder trauert anders. Trauer ist etwas sehr Individuelles. Sie kann den Menschen total durchschütteln.»

Leben und Tod sind unzertrennlich miteinander verbunden. Dennoch sind die Themen Sterben und Trauer mit vielen Tabus behaftet. Warum ist das so?
Es ist so: Der Tod gehört zum Leben. Schuld gehört zum Leben. Schwierige Situationen und Zeiten gehören zum Leben… Ich denke, dass viele Menschen Angst vor der Antwort haben. Dass sie die Antwort scheuen und darum nicht fragen. Da denke ich mir jeweils: Diese Menschen müssen diese Not auch ertragen, dann werde ich es wohl noch schaffen, sie zu fragen und die Antwort mit auszuhalten.

Ich möchte ermutigen, andere Menschen anzusprechen, zu fragen. Mit einem Menschen in wirklichen Kontakt zu treten, Anteil an seinem Leben zu nehmen. Es ist eine ungeheure Bereicherung und gibt dem Leben Tiefe.