Typisch Mann, typisch Frau? Auch in der Berufswelt schimmern hier und da Klischeedenken und geschlechtsspezifische Rollenbilder durch. Haben es Frauen auf der Karriereleiter tatsächlich schwerer als Männer? Oder ist nur die Motivation eine andere? Und wie bahnt sich frau am besten ihren Weg in die obere Führungsetage?
Das Potenzial an weiblichen Führungskräften ist gross: In der Schweiz haben mehr Frauen einen Hochschulabschluss in der Tasche als Männer (Stand 2018). Je höher es aber auf der Karriereleiter geht, desto weniger Frauen sind dort vertreten. Die ungeschminkte Wahrheit ist: Das Top Management Schweizer Unternehmen ist zu drei Vierteln mit Männern besetzt. Dies belegt der Gender Intelligence Report 2022 der Universität St. Gallen.
Die Studie weist ausserdem auf eine Entwicklung hin, die nachdenklich macht: Die Fortschritte sind stockend. Obwohl ein allgemeiner beruflicher Gender-Gap offensichtlich ist, scheint sich dieser nur im Zeitlupentempo zu schliessen.
Trägheit im Gender-Gap
Die Gründe sind vielfältig – und vielfach nicht gerechtfertigt. Leider spielen auch Rollenbilder noch immer eine Rolle, wenn es darum geht, ob es Frauen in Unternehmen ganz nach oben schaffen. Rollenbilder entstehen im Kopf. Sie werden beispielsweise genährt von gesellschaftlichen Einflüssen und dem kulturellen Umfeld. Oder sie färben bereits in der Kindheit ab, nämlich durch familiäre Prägung.
Ist beispielsweise die eigene Mutter berufstätig, ist es für Töchter eher «normal», später Familie und Karriere vereinbaren zu wollen. Sind es Mädchen gewohnt, sich im Kindesalter mit Brüdern oder anderen Buben auseinanderzusetzen, so wird ihnen die Auseinandersetzung mit Männern auch im Berufsleben leichterfallen.
«Klischeehaft werden Frauen manchmal als durchsetzungsschwach gesehen. Tatsächlich aber ist der Umgang mit Sachthemen unabhängig vom Geschlecht.»
Heidemarie Regina Eckrich
Ärztliche Direktorin / MGL
Führung auf Sachebene
Wir haben das Glück, in unserer Gesellschaft eine grosse Entscheidungsfreiheit zu geniessen: Wie gehe ich mit einer Situation um? Der erste Schritt ist immer eine nüchterne Analyse, die Türen öffnet und Optionen aufzeigt. Vielleicht wird man in eine Rolle gedrängt, die nicht angemessen ist. Dann empfiehlt es sich, sachlich zu bleiben und die persönlichen Grenzen nach aussen klarer zu zeigen.
Das Selbstbild überprüfen
Um dem Korsett von Rollenbildern zu entkommen, hilft auch ein ehrlicher Blick auf das eigene Rollenverständnis. Durchsetzungskraft und Machtdemonstration etwa sind eher männliche Energien und wurden in der Unternehmenswelt lange geschätzt. Sie sind aber gar nicht notwendig. Denn auch Empathiefähigkeit und ein Händchen für partizipative Führungskultur zeichnen gute Führungspersonen aus – Fähigkeiten, die Frauen tendenziell leichter entwickeln als Männer.
Vorbild durch Sinnhaftigkeit
Unbedingt braucht es auch die richtige Motivation. Nicht, wer sich aus Prinzip durchsetzen will, sollte Menschen führen. Sondern wer neue Ideen einbringen, etwas bewegen und Mitarbeitende in ihren persönlichen Stärken fördern möchte – der ist, egal ob Mann oder Frau, im Top Management richtig angekommen.
Oft gesellt sich auch die Sinnfrage hinzu: Wer nützlich sein möchte, erfährt eine innere Freude, die antreibt – und ansteckt. So werden Führungspersonen zu Vorbildern. Die männlich geprägte Durchsetzungskraft wird in diesem Moment zur Durchsetzungsfähigkeit. Es geht dann darum, Kontexte zu steuern, Rahmenbedingungen zu schaffen und Einstellungen zu implementieren.
Einfühlsam kritisieren
Gute Führungspersonen finden die perfekte Balance zwischen Vertrauen und Kontrolle. Sie behalten den Überblick aus einer Position der aktiven Beobachtung heraus – nicht aus dem Gedanken einer Machthierarchie. Das befähigt sie, mit den Mitarbeitenden im Austausch zu bleiben. Ja, es ist sogar möglich, Kritik zu üben, ohne dabei zu verletzen: indem man zuhört, aufnimmt, sich einfühlt und dann offen miteinander kommuniziert. Ein Vorgehen, das den kleinen, aber feinen Unterschied macht.
Erschienen ist der Artikel am Samstag, 25. Februar 2023: